Interessantes über Gustav Oelsner
Einblicke in die Schaffenszeit von Gustav Oelsner in Deutschland und in der Türkei
Gustav Oelsner
Gustav Oelsner (1879-1956) war Architekt und Bausenator von Altona-Hamburg. Er prägte in den 1920er Jahren das Stadtbild von Altona im Stil des Neuen Bauens - ein Baustil, der das europäische Bauen fast ein halbes Jahrhundert wesentlich mitgestaltete. Hierfür ist die denkmalgeschützte Helmholtz-Siedlung, die erste Zeilenhaus-Siedlung Deutschlands (1927 erbaut), ein prominentes Beispiel. Diese Siedlung ist für jeden bau-historisch Interessierten ein Reiseziel; Studenten und Architekten aus der ganzen Welt besuchen diese Siedlung.
Die Helmholtz-Siedlung wird gegenwärtig Denkmalgeschützt saniert.
Sanierungsdauer bis 2022.
Licht, Luft und Sonne - Gustav Oelsner in Altona/Hamburg (1923 - 1933)
Nach dem Ersten Weltkrieg herrschten hohe Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot in Deutschland. Zusammen mit Max Brauer, Oberbürgermeister von Altona, wollte Gustav Oelsner die Infrastruktur der Stadt Altona an der Elbe erneuern und die Lebensbedingungen der ärmeren Bevölkerung verbessern. Als Stadtplaner arbeitete Gustav Oelsner am Großraum Altona (1927). Dieser Plan erlaubte die Trennung von Wohn- und Gewerbegebieten und die Schaffung von drei Grüngürtel.
Als Architekt baute Oelsner im Stil des „Neues Bauen“, das Ziel dieses neuen Baustils war es, eine völlig neue Gebäudeform zu entwickeln, in der soziale Verantwortung wie auch Gesundheitsaspekte ("viel Sonne, Luft und Licht") von zentraler Bedeutung waren. Dies wurde durch Rationalisierung und Standardisierung von neuen Materialien und Bauweisen erreicht, sowie durch eine erste einfache Innenausstattung der Wohnungen.
Insbesondere verzichtete Gustav Oelsner auf zusätzliche Keramikdekoration und setzte vermehrt auf die Wirkung des Mauerwerks. Zum Beispiel wurden in der Helmholtz-Siedlung die oberen Stockwerke durch dunklere Steine mit einem starken horizontalen Umriss akzentuiert. Auch Eckfenster sorgten für zusätzlichen Lichteinfall und Belüftungsmöglichkeiten der Apartments. Oelsner benutzte besonders farbige Steine (gelb), was seine Gebäude von den in Hamburg üblichen rotbraunen Klinkerbauten abhebt. Das Spiel mit buntem Klinker und Fehlbränden lässt eine expressionistische Fassade erscheinen.
In Altona baute Gustav Oelsner sechzehn kommunale Wohnungsbauten, fünfzehn öffentliche Gebäude und dreizehn Industriebauten. Die meisten von ihnen haben den Zweiten Weltkrieg überlebt und stehen heute unter Denkmalschutz.
Gustav Oelsner im Exil
Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verließ Gustav Oelsner Deutschland und entkam so der nationalsozialistischen Verfolgung. Gustav Oelsner gehörte zu den vielen jüdischen Akademikern, die damals in die für sie sichere Türkei Mustafa Kemal Atatürks emigrierten und ihr Wissen an den türkischen Universitäten weitergaben. Die Türkei befand sich in den 1920iger Jahren in einem dynamischen Prozess der Transformierung, deutsche und österreichische Akademiker unterstützten wesentlich diesen Reformprozess.
Gustavs Oelners Einladung in die Türkei
In der Türkei
Als Hochschullehrer war Oelsner an der Technischen Universität Istanbul tätig. Dort baute er den ersten Lehrstuhl für Städtebau auf; gleichzeitig Lehrtätigkeit und ab 1943 Professur an der Akademie der Bildenden Künste (heute Mimar Sinan Fine Arts University Istanbul). Zu seinen Schülern gehörten Kemal Ahmet Arû und Gündüz Özdeş. In Ankara arbeitete er als Regierungsberater im Ministerium für Stadtplanung tätig. Oelsner sah eine sanfte Modernisierung des Städtebaus in der Türkei vor und prägte die nächste Generation von Architekten und Stadtplanern.
Gustav Oelsner, die Erkundungsreisen durch die Türkei (1939-1949)
Neben seiner offiziellen Tätigkeit als Professor und Regierungsberater in der Türkei, erkundete Gustav Oelsner auf ausgedehnten Reisen die Lebens- und Baugewohnheiten seines Gastlandes zu wissenschaftlichen Zwecken, stets einen Fotoapparat und sein geliebtes Zeichenmaterial zu Hand.
Die Bedeutung und die mögliche Nutzung der Dokumente dieser Erkundungsreisen werden am besten durch ein Zitat seines türkischen Assistenten Kemal Ahmet Arû verdeutlicht:
„[...] Da er während dieser Zeit gleichzeitig den Posten als Müsavir, d.h. Berater, in unserem Arbeitsministerium bekleidete, kam er alle 15 Tage zu uns zum Unterricht. In seiner Eigenschaft als Müsavir hatte er Gelegenheit, in alle Teile unseres Landes zu reisen und die entlegensten Städtchen, die manche Türken selbst nicht gesehen haben, zu besichtigen, um ihre städtebaulichen Besonderheiten und Nöte kennen zu lernen. Seine Vorträge waren voll von Erlebnissen und Eindrücken dieser anatolischen Reisen. Er erzählte von Dörfern und Städtchen, die er inzwischen gesehen hatte. Je nach ihrer Wichtigkeit schilderte er den Studenten die städtebaulichen Probleme dieser Ansiedlungen, mit großem Enthusiasmus brachte er seine Verbesserungsvorschläge vor. Auf diese Weise brachte er der Fakultät und vor allem den Studenten die städtebaulichen Aufgaben des Landes nahe und weckte ihr Verständnis dafür. [...] Er liebte es, seine Gedanken an Hand von Skizzen anschaulich zu machen, und die am schwarzen Brett von ihm gezeichneten kleinen farbigen Skizzen wurden von jedem bewundert. Er hatte immer sein eigenes Zeichenmaterial bei sich, das er mit großer Sorgfalt aufbewahrte. [...]“
Kemal Ahmet Arû, Die türkischen Jahre, in: Erich Lüth/Joachim Mattaei (Hg.): Der Baumeister Gustav Oelsner, in: Schriften der Freien Akademie der Künste, Band 10, Hamburg 1983, S. 72f.
Hier gibt es eine Auswahl der Fotografien von Gustav Oelsner.
Sie sehen unter andrem Aufnahmen aus der türkischen Stadt Amasya.
(copyright: Hamburgisches Architekturarchiv)
HAYMATLOZ - Deutschsprachige Architekten in der frühen Republik
Gustav Oelsner gehörte zu den vielen jüdischen Architekten und Stadtplanern, die in einen säkularen Staat, der Türkei, zu Zeit von Mustafa Kemal Atatürk emigrierten. Dazu gehörten unter anderem, Paul Bonatz, Ernst Arnold Egli, Martin Elsaesser, Franz Hillinger, Clemens Holzmeister, Wilhelm Schütte, Margarethe Schütte-Lihotzky, Robert Oerley, Hans Poelzig, Henri Prost, Ernst Reuter, Bruno Taut und Martin Wagner. Mit ihrer Anstellung verpflichteten sie sich, Türkisch zu lernen und Lehrbücher auf Türkisch zu publizieren. Dafür erhielten sie in der Regel sehr gut dotierte Positionen an den Hochschulen und bei Regierungsbehörden, teilweise wurden sogar spezielle Institute gegründet, die von Exilanten geleitet wurden.
Diejenigen, die von Deutschland ausgebürgert wurden oder aus anderen Gründen staatenlos waren, bekamen „heimatlos“ in den Pass gestempelt, was zu einem Synonym für den Status der Exilanten wurde und als "Haymatloz" in die türkische Sprache eingegangen ist.
Sie waren maßgeblich an großen Einzelprojekten beteiligt, die letztendlich die Skyline der neuen Hauptstadt Ankara sowie die zivile Planung und Architekturausbildung des Landes charakterisierten. Dies äußerte sich am deutlichsten im Bau von Theatern, Schulen oder Universitätsgebäuden.
Einige Beispiele von Gebäuden von deutschen Exilanten
Paul Bonatz
Staatsoper Ankara, 1946/47
Ernst Egli
Staatliches Konservatorium, 1927–29
Handelsgymnasium Ankara, 1928–30
Landwirtschaftliche Fakultät, 1928–33
Politikwissenschaftliche Fakultät, 1935/36
Schweizer Botschaft, 1936–38
Internat Etimesgut, 1929–30
Martin Elsaesser
Sümerbank, 1937/38
Bruno Taut
Philologische Fakultät, 1937–39
Katafalk Atatürks, 1938
Clemens Holzmeister
Verteidigungsministerium, 1927–31
Generalstabsgebäude, 1929/30
Gebäude des türkischen Parlaments, 1938–63