Gustav Oelsner Workshop
Kick-Off Meeting am 25.10.2019 in der Architektur Kammer Istanbul (Chamber of Architcts Istanbul Branch)
Die Referenten:
Frau Prof. Dr. Gül Cephanecigil
Frau Prof. Elvan Gökce Erkmen
Herr Mehmet Rıfat Akbulut, Ph.D.
Theoretischer Rahmen der Stadtplanung in der Türkei des frühen 20. Jahrhunderts
Assoc. Prof. Dr. Gül Cephanecigil
Istanbul Technical University
Faculty of Architecture
Als Indikator für die Moderne angesehen, war die städtische Umgebung ein wichtiger Bestandteil der politischen und kulturellen Agenda in der Türkei des frühen 20. Jahrhunderts. Obwohl die „Wissenschaft des Urbanismus“ in den populären Artikeln zu städtischen Themen häufig erwähnt wurde, fand die Integration dieser neuen Wissenschaft in Bildungseinrichtungen und die Schaffung einer akademischen Grundlage für theoretische Diskussionen erst Ende der 1930er Jahre statt.
Begegnungen mit europäischen Planern, wie die Konferenz von Hermann Jansen im Jahr 1917 an der Universität Istanbul, leisten in dieser prägenden Zeit seltene, aber bedeutende Beiträge. Die Einrichtung der „Directorate of Printing“ in der Stadtverwaltung Istanbul ist ein weiterer wichtiger Schritt zur Verbreitung theoretischen Wissens. 1924 begann die Stadtverwaltung mit der Veröffentlichung der Zeitschrift Istanbul Şehremaneti Mecmuası, die Diskussionen über städtische Probleme und Übersetzungen aus europäischen theoretischen Arbeiten enthält. Die Stadtverwaltung unterstützt auch die Übersetzung von Büchern; frühe Beispiele davon sind Ed. Joyants zwei Bände der Traité d'urbanisme, und die Teilübersetzung eines Handbuchs des Akademischen Vereins HÜTTE e.V. Es folgt die Übersetzung von Camillo Sittes Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen im Jahr 1926 durch Celal Esad Arseven, den bedeutenden Kunst- und Architekturhistoriker dieser Zeit. Arseven übernimmt eine Vorreiterrolle bei der Initiierung eines Kurses über Urbanismus im Architekturcurriculum der Akademie der Bildenden Künste.
Als dann in den 1930er Jahren vorrangig ausländische Experten in der Türkei beschäftigt wurden, förderte dies entscheidend den Übergang von der Ausbildungsphase zur Errichtung einer autonomen Disziplin. Einer derjenigen, die maßgeblich zu dieser Transformation beitrugen, war Gustav Oelsner.
Die vorliegende Präsentation zielt nun darauf ab, den Stand des konzeptuellen Verständnisses des Urbanismus, als Oelsner in der Türkei zu arbeiten begann, durch eine Analyse dieser frühen Veröffentlichungen und architektonischen Lehrpläne dieser Zeit darzustellen.
Die Synchronie der Jahre 1933 und 1938:
Deutschsprachige Architekten in der frühen Architektur der türkischen Republik
Frau Prof. Elvan Gökce Erkmen
ISIK Universität
Faculty of Fine Arts Interior
Architecture Department
Die enge kulturelle Verbindung zwischen Deutschland und der Türkei lässt sich an den Jahren 1933 und 1938, zwei für beide Staaten bedeutsamen Jahreszahlen und politischen Wendepunkten verdeutlichen. Das Jahr 1933 sieht einerseits den Sieg von Hitlers Nationalsozialistischer Deutscher Arbeiterpartei bei den deutschen Reichstagswahlen, andererseits die Universitätsreform in der Türkei. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 steht in der Türkei für den Tod des Gründers der Republik, Mustafa Kemal Atatürk, worauf eine introvertierte Phase für den neuen türkischen Nationalstaat folgt, in Deutschland für die sogenannte "Kristallnacht", die organisierten Angriffe auf jüdische Geschäfte und Synagogen im Zusammenhang mit der Judenverfolgung, die zur Auswanderung einer großen Anzahl deutscher Wissenschaftler führte.
Die in Deutschland und Österreich entlassenen Professoren wurden zum Mittel für die Bedürfnisse der Türkei, und die türkische Republik, die durch zahlreiche Institutionen eine Modernisierungsphase schuf, wurde deren zweiten Heimat. Die wichtigste Aufgabe dieser Intellektuellen war es, eine revolutionäre Architektur zu konstruieren, die der republikanischen Ideologie und den Revolutionen von Mustafa Kemal Atatürk entsprach. Sein westlich orientiertes, rationalistisches und positivistisches Konzept drückte sich in der Architektur mit einer modernistischen und industriellen Sprache aus.
Mit der Abschaffung des Kalifats im Jahr 1924 wechselte Istanbul, die bisherige Hauptstadt des islamisch geprägten Osmanischen Reiches, seine Rolle mit Ankara, der neuen Hauptstadt des neuen Nationalstaates und Zentrum des Nationalen Unabhängigkeitskrieges der 1920er Jahre. Die 1930er Jahre wurden zur Ära des Aufbaus der neuen Nation und deren Hauptstadt Ankara. Die modernistische Neuorganisation der öffentlichen Bereiche in der jungen republikanischen Türkei und der Aufbau eines türkischen modernistischen Bildungssystems waren das Ziel der türkischen Regierung.
An diesem Prozess der Modernisierung und Identitätsbildung engagierten sich die wichtigsten ausländischen Architekten und Stadtplaner der türkischen Republik, wie Ernst Egli, Clemens Holzmeister, Hermann Jansen, die Ende der 1920er Jahre in die Türkei kamen, dann die Personen der zweiten Immigrationswelle, wie Bruno Taut, Margarete Schütte-Lihotzky, Martin Elsaesser, Paul Bonatz, Martin Wagner, Ernst Reuter und schließlich Gustav Oelsner, die Ende der 1930er Jahre in die Türkei kamen.
GUSTAV OELSNER: EIN ROMANTISCHES HERZ DES MODERNISMUS IN DER TÜRKEI
Mehmet Rıfat Akbulut, Ph.D.
Mimar Sinan Fine Arts University,
Department of Urban and Regional Planning
İstanbul
Eine Gruppe angesehener Experten kam in die Türkei in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen, um eine Nation und ein Land aufzubauen; sie verbrachten dort die Kriegsjahre weit weg von den Schrecken in einem völlig sicheren Land und blieben sogar danach noch dort. Zu dieser Zeit war die Türkei eine arme, karge Landschaft, durch lange Vernachlässigung ruiniert. Gustav Oelsner war einer dieser bemerkenswerten Deutschen, der die Türkei mit Interesse erforschte, mit viel Empathie lieben lernte und der er mit großem Ernst diente; er verbrachte dort Jahre während der Phase des Umbaus.
Oelsner kommt 1939 auf offizielle Einladung der Regierung in dieses arme Land. Durch seine langjährige Tätigkeit in der Türkei leistet er nicht nur als Experte für eine modernistische Bürokratie, sondern auch als Pädagoge und Gelehrter einen großen Beitrag. Gustav Oelsner war ohne Zweifel ein guter Ausbilder und ein erfahrener Fachmann für jeden Wissensstand. Er erklärt von Anfang an, was in einem Land mit mangelnden Kenntnissen des modernen Städtebaus zu tun ist. Oelsner zeigt sich als eine Persönlichkeit, die bereit ist, mit seiner liebevollen Persönlichkeit zu lieben und zu verstehen. Oelsner interessiert sich jedoch nicht nur für die technische Aspekte des Städtebaus. Er verteidigt auch ein Verständnis von Urbanismus, das er für die Türkei angemessen hält, und bemüht sich, dieses Verständnis auch zu durchzusetzen. Der richtige Urbanismus umfasst hier nicht nur die richtigen Methoden und das richtige technische Wissen, sondern auch die richtigen Prinzipien und die richtige Moral. Wesentliche Prinzipien, die er in seinen Schriften zum Ausdruck bringt und hervorhebt, sind der Schutz der traditionellen und historisch gewachsenen Siedlung sowie des architektonischen und städtebaulichen Erbes Anatoliens. Oelsner war dennoch kein konservativer Traditionalist. Im Gegenteil, er war immer ein glaubwürdiger Modernist. Ihm zufolge sind der traditionelle Urbanismus und die einheimische Architektur, die er verteidigt, mit Respekt zu behandeln, ein Ansatz, von dem man auch heute noch sehr viel lernen kann. Deutlich erkennbar ist, dass Oelsner den humanistischen Urbanismus mit seiner eigenen Finesse und Romantik verteidigt hat. Diese Merkmale sind in seinen Schriften leicht zu erkennen. Als Architekten und Urbanisten zeichnet Gustav Oelsner wohl insbesondere sein humanistischer und romantischer Zugang aus.